Allgemein, Care for Chronic Condition, Hospitation

Kurzbericht: Hospitation in einer pflegegeleiteten ICD-Ambulanz, Schweden

Autorin: Anke Kampmann

 

In Deutschland werden jährlich ca. 30.000 ICDs (Implantierter Cardioverter Defibrillator) implantiert. Davon ca. 80% als Primärprävention, d. h. „Patienten, bei denen bisher keine lebensbedrohlichen, ventrikulären Rhythmusstörungen dokumentiert wurden, die jedoch ein entsprechendes Risikopotenzial besitzen“ . Darunter versteht man eine Koronare Herzkrankheit (KHK, nach Myokardinfarkt), eine nicht-ischämische, dilatative Kardiomyopathie (DCMP) oder eine Herzinsuffizienz mit linksventrikulärer Ejektionsfraktion ≤ 35% (1). Von einer sekundären Indikation spricht man bei „Patienten die bereits einen Herzkreislaufstillstand, eine hämodynamische Beeinträchtigung oder eine Synkope aufgrund von ventrikulären Tachyarrhytmien überlebt haben.“ (2)  Ca. 80% der PatientInnen schaffen es jedoch gut, ihr Leben an den ICD anzupassen und in den Alltag zu integrieren. Dem gegenüber stehen jedoch 20%, die ein klinisch relevantes psychologisches Leiden entwickeln (3). Dies kann sich ungünstig auf die Morbidität auswirken bzw. das Mortalitätsrisiko erhöhen, wie es auch von anderen kardialen Erkrankungen bereits bekannt ist.

Dieses Wissen, meine persönliche Erfahrung und auch der Wunsch, den Betroffenen und ihren speziellen Bedürfnissen noch besser gerecht zu werden, haben mich dazu bewogen, mich pflegewissenschaftlich mit der Problematik „Patient nach Defibrillatorimplantation“ auseinander zusetzen. Im Rahmen einer Literaturarbeit fand ich heraus, dass der pflegerischen Schulung und Beratung von PatientInnen nach ICD-Implantation in Deutschland bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Vielleicht findet sie statt, aber nicht strukturiert und nicht veröffentlicht.

Universitätskrankenhaus Linköping, Schweden / Foto: Anke Kampmann

Universitätskrankenhaus Linköping, Schweden / Foto: Anke Kampmann

Hospitation vom 29.03. – 01.04.2016: Universitätsklinik Linköping, Schweden

An der Universitätsklinik Linköping ist eine pflegegeleitete Schrittmacher- und Defibrillatorambulanz angegliedert. Die speziell fortgebildeten Pflegekräfte (Device-Nurses) arbeiten eigenverantwortlich und führen routinemäßig, halbjährlich im Wechsel mit dem Arzt die Ausmessungen der Defibrillatoren durch und führen die Patientengespräche.
Die Schrittmacher- und ICD-Ambulanz in Linköping ist von Montags-Freitags von 8.30h-16.30h geöffnet. Kontrollen bzw. Ausmessungen finden zweimal jährlich statt. Hierbei wechseln sich entsprechend geschulte Pflegekräfte (Device-Nurses) und Ärzte ab, d.h. die Patienten sehen bei problemlosem Verlauf einmal jährlich den Kardiologen.

Patientengespräche

Ich durfte eine Device-Nurse an vier Tagen während der Sprechstunden begleiten und bei ihrer Arbeit über die Schulter gucken. Normalerweise wechseln sich dabei Schrittmacher und ICD-Patienten ab, aber sie hatte sich für den Zeitraum meiner Hospitation nur Betroffene mit implantiertem Defibrillator ausgewählt. Vor jedem neuen Patienten haben wir gemeinsam den Fall und die Besonderheiten auf Englisch besprochen. Das Patientengespräch fand dann auf Schwedisch statt, wobei vorab natürlich die Erlaubnis eingeholt wurde, dass ich während des Termins anwesend sein durfte. Nach Abschluss des Patientengesprächs gab es eine Nachbesprechung und ich konnte Fragen stellen. In der Regel hat die Pflegekraft 30 Min Zeit für das eigentliche Patientengespräch und dann noch 15Min für die Dokumentation. Die Nurse hatte uns jedoch jeweils 1 Stunde pro Fall eingeräumt, so dass genügend Zeit blieb für eine Nachbereitung und ich auch weitergehende Punkte ansprechen konnte, die über die ambulante Betreuung der ICD- Patienten hinausgehen aber für das Verständnis des schwedischen Systems von Wichtigkeit waren.

Mehr Zeit für den Patienten

Die Hospitation in Linköping hat mir veranschaulicht, wie anders die Betreuung der Patienten mit implantiertem ICD aussehen kann und dass diese nicht an einen Arzt gebunden sein muss. Im Gegensatz zu der mir bekannten Praxis in unserer ICD- Ambulanz, wo für den Patienten maximal 7-10Min Zeit für die Ausmessung zur Verfügung stehen habe ich kennengelernt, dass man für die ICD-Patienten 30 Minuten pro Termin Zeit hat und so auch die Möglichkeit hat aktuelle Probleme zu besprechen.

Behandlungszimmer, ICD clinic, Universitätsklinik Linköping / Foto: Anke Kampmann

Behandlungszimmer, ICD clinic, Universitätsklinik Linköping / Foto: Anke Kampmann

Pflegekräfte als kompetente Ansprechpartner

Die speziell ausgebildeten Pflegekräfte sind in der Lage die Ausmessung durchzuführen und die Beratungsgespräche zu führen. Die Betroffenen sprechen mit den Pflegenden auch über andere Dinge, als mit dem Arzt. Diese Aussage meiner Betreuerin vor Ort bestätigte auch meine persönlichen Erfahrungen in der Beratung. Die überwiegende Mehrheit der Patienten wirkte sehr zufrieden und nutzte die Möglichkeit zum Austausch mit der Pflegekraft. Ich konnte auch erkennen, dass diese als kompetenter Gesprächpartner vollkommen akzeptiert und nicht nach einem Arzt verlangt wurde. Dies ist in Deutschland überwiegend noch anders, hier ist man meines Erachtens oftmals von Patientenseite noch sehr nur auf die Mediziner fixiert. Es findet erst langsam ein Umdenken statt.

Mehr Eigenverantwortung für den Patienten

Weiterhin wird in Schweden von den Patienten wesentlich mehr Eigenverantwortung erwartet, was den Umgang mit dem ICD angeht, sie werden von Beginn an als gleichberechtigte Partner in ihre Behandlung miteinbezogen. Dies geschieht in dem man ihnen direkt eine Vielzahl von Informationen zur Verfügung stellt und auch eine Veranstaltung für sie und ihre Angehörigen anbietet. Zusätzlich gibt es auch eine telefonische Erreichbarkeit der Pflegekräfte, sollten akute Probleme bestehen.

Interdisziplinäres Team

Die Pflegekräfte sind in ein gleichberechtigtes, interdisziplinäres Team eingebunden. Diese besteht in Linköping aus Pflegekräften, Ärzten, einer Diätassistentin, einem Physiotherapeuten und einem Sozialarbeiter. Eine solche Konstellation wäre auch für Deutschland wünschenswert, denn nur so wäre auch meines Erachtens eine optimale ganzheitliche Betreuung der Betroffenen möglich. In Deutschland ist jedoch die wichtige Rolle, die Pflegefachkräfte in der Betreuung, Schulung und Beratung betroffener PatientInnen übernehmen könnten, bisher kaum erkannt worden.

Ausblick

An meiner Heimateinrichtung, dem Krankenhaus der Barmherzigen Bürder Trier, ist  geplant, dass ab Sommer 2016, nach einem Umzug der Rhythmusambulanz in neue Räumlichkeiten, im Rahmen der ambulanten, ärztlichen Defibrillatorkontrollen auch eine Pflegekraft mit dem Patienten ein Beratungsgespräch führen soll. Gespräche zur Implementierung sind im Gange.

Autorin: Anke Kampmann, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Pflegeexpertin für Menschen mit Herzinsuffizienz (Heart Faillure Nurse) am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Trier

Quellenangaben:

(1)  Jung, W.; u. a. (2007): Pocketleitlinien: Implantation von Defibrillatoren. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie-Herz und Kreislaufforschung e.V: Düsseldorf, S.6
(2)  ebd. S.6
(3)  Magyar-Russell, G.; et al. (2011): S. 223-231