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Kurzbericht: Chronisch krank am Lebensende – die interdisziplinäre Sprechstunde als ein integriertes Pflegeversorgungsmodell in der Schweiz

Autorin: Sarah Wiefels

 

Menschen mit chronischen Erkrankungen und ihre Angehörigen erhalten trotz hoher Belastung durch physische und psychische Symptome und sozialer Beeinträchtigungen immer noch zu selten eine spezialisierte Palliativversorgung. Damit diese Patienten möglichst lange im ambulanten Umfeld bleiben können, aber nicht auf spezialisierte Palliativversorgung verzichten müssen, soll am Universitätsklinikum Bonn (UKB) die Sprechstunde Palliative Care ausgebaut werden. Um dem interprofessionellen und universitären Ansatz gerecht zu werden, soll diese Sprechstunde um eine spezialisierte Advanced Practice Nurse (APN) erweitert werden.

Advanced Practice Nurse (APN)

Eine APN beschreibt eine Pflegende auf Masterniveau, die sich in einem spezifischen Fachgebiet spezialisiert hat und vertiefte und erweiterte Pflege anbietet. Sie arbeitet interdisziplinär, evidenzbasiert und ethisch reflektiert und bildet das Bindeglied zwischen Forschung und direkter Pflege. Sie selbst arbeitet sowohl mit Patienten und Angehörigen, als auch in den Bereichen Forschung und Lehre. (Schober & Affara, 2006; Spirig & De Geest, 2004). Eine APN-Rolle innerhalb einer Pflegesprechstunde gibt es bisher in Deutschland nicht. Um diese Rolle bestmöglich zu implementieren und eine gute Übertragbarkeit zu gewährleisten, wurde eine Hospitation in mehreren APN Pflegesprechstunden von Menschen mit chronischen Erkrankungen am Universitätsspital Zürich (USZ) durchgeführt.

Team der Palliative Care am USZ: Sabine Fischer, Sarah Wiefels, Markus Feuz (v.l.n.r.) / Foto: Sarah Wiefels

Team der Palliative Care am USZ: Sabine Fischer, Sarah Wiefels, Markus Feuz (v.l.n.r.) / Foto: Sarah Wiefels

Ziele der Hospitation

Im Zentrum der Hospitation am USZ stand die Frage nach der Realisierung einer APN Sprechstunde für chronisch kranke Menschen und deren praktische Durchführbarkeit. Der Fokus lag auf der Rolle der APN und deren Nutzen für die Patienten in der Sprechstunde, der Zusammenarbeit mit anderen Professionen und die Akzeptanz innerhalb des jeweiligen Fachbereiches. Ebenso war ein weiteres Ziel, den Anteil an Patienten mit palliativem Versorgungsbedarf in anderen Fachdisziplinen zu beobachten und dem Umgang mit ihnen nachzugehen.

Durchführung

In einer Woche wurden sechs Sprechstunden besucht. Hierbei handelte es sich konkret um Sprechstunden in der Palliativmedizin, der Abteilung für Lebertransplantation, Zystischer Fibrose, Multiple Sklerose, HNO und Onkologie.

Erkenntnisse

Der Aufbau und die Durchführung der jeweiligen Sprechstunden variierten stark aufgrund der unterschiedlichen Kontextfaktoren. Der Nutzen einer Pflegenden auf Masterniveau im Rahmen des Advanced Nursing Practice Konzepts war in den Beratungen deutlich spürbar und zeichnete sich durch facettenreiche, evidenzbasierte und proaktive Interventionen aus, die jedoch stets an die individuellen Patientenbedürfnisse angepasst waren.

Die Pflegewissenschaft am USZ ist bereits sehr verankert. Dennoch spielen Themen wie Akzeptanz anderer Disziplinen und Finanzierung immer noch eine große Rolle. Der Anteil von Patienten mit palliativem Versorgungsbedarf in den Sprechstunden für chronisch kranke Menschen ist hoch. Der Versorgung dieser Patienten werden die Pflegeexperten bisher aufgrund fehlender Vernetzung mit der Palliativmedizin nicht gerecht.

Transfer

Die Ergebnisse der Hospitation wurden bereits dem Stab der Pflegedirektion vorgestellt. Eine Präsentation der Ergebnisse für den Pflegedirektor und den Ärztlichen Direktor der Palliativmedizin ist geplant. Ziel ist die Darlegung des Nutzens einer Palliative Care Pflegesprechstunde sowie die Formulierung der hierfür benötigten Ressourcen.

Ebenso soll versucht werden, einen Kooperationspartner zu finden, der Menschen mit chronischen Erkrankungen (z. B. Menschen mit Herzinsuffizienz oder Leberinsuffizienz) innerhalb des Universitätsklinikum Bonn betreut. Hier wäre ein Modellprojekt der Zusammenarbeit mit der Palliativmedizin wünschenswert, um diesen Patienten eine spezialisierte Versorgung am Lebensende zukommen zu lassen.

Fazit

Die Hospitation machte deutlich, dass deutsche Universitätskliniken in Bezug auf Pflegewissenschaft und Pflegeentwicklung weniger weit entwickelt sind, als in der Schweiz. Pflegende in der Schweiz wirken eigenständiger und selbstsicherer, wenn es um ihre Profession geht. Ebenso sehen viele die Akademisierung und den Nutzen der klinischen Pflegewissenschaft als erwiesen und wichtig für die Praxis an.

In der Schweiz ist die Palliativmedizin kein integraler Bestandteil der Versorgung von Menschen mit chronisch verlaufenden, lebenslimitierenden Erkrankungen. Dies deckt sich zwar mit der Literatur, es muss jedoch ein Umdenken stattfinden.

Die fehlende Integration der Palliativmedizin die Versorgung der Patienten beeinflusst im großen Maße die Etablierung einer Pflegesprechstunde Palliative Care. Die größte Herausforderung wird es somit sein, genügend Patienten zu gewinnen, deren körperlicher und kognitiver Allgemeinzustand einen Besuch in einer Ambulanz zulässt. Wichtig erscheint auch die Klärung der benötigten Ressourcen. Hier spielen einfache Dinge, wie ein kostenloser, nah gelegener Parkplatz und ein fester Raum für die Sprechstunde, eine große Rolle.

 

Sarah Wiefels, MSc, Gesundheits- und Krankenpflegerin, ist Pflegeexpertin APN an der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn.