Allgemein, Care for Chronic Condition, Hospitation, Kurzberichte

Kurzbericht: Ambulante Großstruktur rheumatologischer Versorgung – eine Hospitation in der Schweiz

Autor: Dr. Martin Welcker

 

Die rheumatologische Versorgung ist in Deutschland durch erhebliche Defizite in der Kapazität der Versorgung gekennzeichnet. Seitens des Versorgungsbedarfs wird die Notwendigkeit von 1 Rheumatologen auf ca. 50.000 erwachsene Einwohner geschätzt (DGRH 2008). Dies entspricht 1.340 Rheumatologen in Vollzeit für die ambulante Betreuung. Derzeit sind aber nur ca. 720 Vollzeitstellen besetzt, was in etwa der Hälfte des Notwendigen entspricht.

Der überwiegende Teil der Versorgung findet mit ca. 57 % in Kooperativen Strukturen in Ballungszentren statt. Hieraus resultieren erhebliche Versorgungsdefizite, wie lange Wartezeiten, welche die Gesundheit Erkrankter allein durch den verzögerten Zugang zur Behandlung gefährden. Zudem erhöht der verspätete Zugang zum internistischen Rheumatologen mit Einleitung entsprechend therapeutischer Maßnahmen im langfristigen Verlauf neben den gesundheitlichen Einschränkungen des Patienten auch die volkswirtschaftlichen Kosten (Zink et al., Kerndokumentation Rheuma).

Ambulante rheumatologischen Versorgungszentren in der Schweiz

Vom 29.11. – 02.12.2016 bestand die Möglichkeit im Rahmen des Programms Care for Chronic Condition, gefördert von der Robert Bosch Stiftung, drei ambulante rheumatologische Versorgungszentren in der Schweiz zu besuchen: die Gemeinschaftspraxis Brugg AG, die Klinik Impuls in Wetzikon sowie das Kantonspital Sankt Gallen.

Es fand ein erfreulich offener bidirektionaler Erfahrungsaustausch mit den Kollegen statt. Am jeweiligen Tag der Hospitation erfolgte nach einer kurzen Begrüßung die Vorstellung der jeweiligen Einrichtung durch die Gastgeber. Räumlichkeiten und Kollegen wurden vorgestellt. Im Anschluss konnte ich der Versorgung der Patienten als Gast mit Einverständnis der Patienten beiwohnen. Abschließend erfolgte ein ausführlicher persönlicher Austausch über die unterschiedlichen und gemeinsamen Vorgehensweisen in Deutschland und der Gasteinrichtung.

Ergebnisse der Maßnahme

In der Schweiz versorgen die Kollegen der Rheumatologie sowohl entzündliche als auch nicht-entzündliche (degenerative) Gelenkerkrankungen. In der internistisch-rheumatologischen Versorgung Deutschlands werden neben der fachlichen Abklärung fast ausschließlich entzündlich-rheumatische Krankheitsbilder betreut.

In den besuchten Einrichtungen ist der Bedarf (1 Rheumatologe auf ca. 50000 Bewohner) annähernd erreicht, sodass die in Deutschland übliche terminliche Enge mit langen Vorlauf-  bzw. Wartezeiten in diesem Ausmaß nicht zu erkennen war.

Die Patienten werden auf international hochwertigem Niveau entsprechend der üblichen Leitlinien der EULAR (Europäische Gesellschaft für Rheumatologie) versorgt. Dabei ist das zahlenmäßige Arzt-Patienten-Verhältnis in der Schweiz entgegen dem hiesigen auf Niveau der WHO-Anforderungen.

Bewertung der Maßnahme

Fachlich zeigte sich eine sehr vergleichbare medizinische Versorgung betroffener Patienten. Die individuelle zeitliche Belastung der ärztlichen Tätigkeit unterscheidet sich wesentlich.

Aufgrund der ärztlichen rheumatologischen Versorgungsstruktur der Schweiz entsprechend der Anforderungen der WHO ist in diesem Land der Delegationsdruck in geringerem Maß vorhanden.

Die betriebswirtschaftlichen Organisationsstrukturen (Stiftung als Träger einer Grundstruktur; Praxisgemeinschaft aus Gemeinschaftspraxen; ambulante Versorgung mit stationärem Hintergrund im Rahmen einer öffentlichen Trägerschaft) stellen interessante Modelle für die weitere betriebswirtschaftliche Organisation rheumatologischer Versorgung dar, welche im Rahmen der weiteren Entwicklung der deutschen Organisationsstruktur erwogen werden kann.

Ergänzend zu dieser Hospitation werden noch Aufenthalte in Italien (Februar 2017) und Norwegen (2017) umgesetzt werden. Aus der Erfahrung dieser Hospitationen soll unter Berücksichtigung der deutschen rechtlichen Rahmenbedingungen neue Versorgungsstrukturen umgesetzt werden.

Angesichts der aktuellen politischen Diskussion mit zunehmender Tendenz des Protektionismus und der nationalen Überschätzung stellen Maßnahmen wie diese, welche durch die Stiftungsaktivität gefördert werden, wesentliche Möglichkeiten der Verständigung und des übernationalen Austausches dar!

 

Dr. Martin Welcker, Facharzt für Innere Medizin, Rheumatologie, Chirotherapie, Geschäftsführer und Ärztliche Leitung der MVZ für Rheumatologie Dr. Martin Welcker GmbH